Frankfurter Rundschau | 18.02.2024 | Magazin

Brennende Olivenhaine und Bomben auf Äckern: Bei den Kämpfen zwischen Israel und der Hisbollah im südlibanesischen Grenzgebiet ist die Umwelt zum Opfer und zur Waffe geworden.

Alma al-Shaab war einst für seine wunderschönen Olivenhaine, Lorbeerbäume und sein mediterranes Flair bekannt. Das kleine Dorf im Südlibanon ist jetzt von einer Landschaft aus rauchender Asche umgeben. Bis zur israelischen Grenze hin erstreckt sich weit und breit ein tristes No-Man’s-Land aus verbrannter Erde. Immer wieder explodieren Bomben und lösen neue Brände aus. Einige hundert Meter weiter sind israelische Grenzposten zu erblicken, die regelmäßig unter Feuer kommen und mit Artilleriebeschuss antworten. Willkommen an der „Nordfront“ Israels – hier kämpft das Land gegen seinen Erzfeind, die Hisbollah.

Seit dem Hamas-Angriff gegen Israel am 7. Oktober, bei dem mehr als tausend Menschen ihr Leben verloren, finden nicht nur in Gaza, sondern auch im Südlibanon heftige Gefechte statt. Täglich schießen die Hisbollah, die Hamas, und andere Verbündete Gruppen mehrere Geschosse auf Militärstützpunkte entlang der Grenze, um Druck auf den israelischen Feldzug in Gaza auszuüben. Dahinter steckt der Iran, der einen Mehrfrontenkrieg gegen Israel führt. Der Konflikt bleibt im Libanon bisher begrenzt, weil beide Seiten offenbar eine Eskalation vermeiden wollen – doch die Katastrophe droht jederzeit. Bisher seien wegen den Raketen der Hisbollah sieben israelische Zivilpersonen und ein Dutzend Soldat:innen getötet worden, meldet das israelische Militär.

Die Hisbollah benutzt den trockenen, mediterranen Wald als Deckung.
Die Hisbollah benutzt den trockenen, mediterranen Wald als Deckung. © PHILIPPE PERNOT

Die Antwort lässt jedes Mal nur einige Minuten auf sich warten: Israelische Flugzeuge, Panzer und Mörser lassen einen Regen von Bomben und Stahl auf die libanesischen Grenzdörfer regnen. Fast 200 Kämpfer der pro-iranischen Axis hätten den Tod gefunden, heißt es. Im Januar wurde Saleh al-Arouri, der stellvertretende Hamas-Führer, bei einem israelischen Angriff im Dahieh-Viertel von Beirut getötet. Den Bomben fielen auch mehr als 20 libanesische Zivilpersonen und mehrere Journalist:innen zum Opfer, fast 800 Menschen wurden verletzt.

In dem Konflikt an der israelisch-libanesischen Grenze ist aber auch die Umwelt zum Opfer und zur Waffe geworden. Die Hisbollah benutzt den trockenen, mediterranen Wald als Deckung – und Israel brennt ihn flächenweise nieder. Mehr als 45 000 Olivenbäume und 465 Hektar Felder habe Israel zwischen Oktober und November niedergebrannt, sagt die libanesische Regierung – die nicht aktiv am Krieg beteiligt ist, aber bei den Vereinten Nationen mehrere Klagen wegen Kriegsverbrechen eingereicht hat. „Israel steckt unsere Felder und Wälder willentlich in Brand, um uns Zivilisten indirekt zu schaden“, glaubt auch Monseigneur Maroun, Pfarrer der Gemeinde im christlichen Grenzdorf Alma al-Schaab. „Sie wollen, dass wir das Land verlassen: Es sind nur noch 80 von den 1000 Einwohnern im Dorf“, sagt er. Insgesamt sind in den vergangenen Monaten fast 90 000 Menschen aus dem Südlibanon geflohen.

Am helllichten Tag schießt die israelische Armee Leuchtraketen ins trockene Gebüsch

Rauchende Asche wirbelt unter den Schuhen des Pfarrers, während er die verlassene Grundschule des Dorfes besucht, deren Hof vor kurzem niedergebrannt ist. Auf einmal zerreißen Explosionen die surreale Stille und lassen den Boden beben. Er rennt zum Auto zurück und fährt in aller Eile zurück ins Dorf, während einige hundert Meter weiter Rauch in den Himmel steigt. Stundenlang sind Explosionen zu hören, Dutzende von Waldbränden fressen sich durch die Olivenhaine. Am helllichten Tag schießt die israelische Armee Leuchtraketen ins trockene Gebüsch, das schnell in Flammen aufgeht.

Feuerwehrfahrzeuge rasen zur Front, doch müssen sie schnell wieder umkehren: Auch sie seien beschossen worden, teilt ein Feuerwehrmann entsetzt mit. Ruß bedeckt seine kugelsichere Jacke und den Helm. „Israel will nicht, dass die Wildfeuer gelöscht werden. Die Armee verfolgt die Politik der verbrannten Erde“, behauptet eine hochrangige Quelle in der libanesischen Feuerwehr, die anonym bleiben möchte. Mindestens neun Feuerwehrkräfte seien seit dem Anfang des Krieges von israelischen Bomben verletzt worden.

Monseigneur Maroun ist Pfarrer im christlichen Dorf Alma al-Shaab.
Monseigneur Maroun ist Pfarrer im christlichen Dorf Alma al-Shaab. © PHILIPPE PERNOT

Um sein Ziel zu verfolgen, bombardiere Israel zivile Infrastruktur, sagt Pfarrer Maroun. Tatsächlich klafft in Alma al-Shaab auf der weißen Wasserzisterne ein großes Loch, das eine israelische Rakete beim Einschlag erzeugt hat. „Wir müssen jetzt den Einwohnern das Wasser mit einem Traktor liefern“, sagt er. Alleine im naheliegenden Grenzdorf Aita al-Chaab seien 200 Häuser beschädigt oder zerstört worden, teilte dessen Bürgermeister mit. Anderswo seien die Solarzellen eines Dorfes unter Beschuss genommen worden.

Auch die Felder werden zum Ziel – so hat es Nimr Atta erlebt, ein Landwirt in Alma al-Chaab. Vor einigen Wochen landeten mehrere Bomben inmitten der 1000 Hektar Salat, Avocado und Paprika. „Das ist eine soziale, wirtschaftliche und ökologische Katastrophe“, seufzt er. Seit dem Bombenangriff seien ihm nur acht von 25 Arbeitern geblieben: Er werde einen Großteil seiner Ernte durch den Krieg verlieren.

Bilal ist einer der letzten Landarbeiter, die geblieben sind. Er stammt aus Hama in Syrien und pflanzt vor der Mittagspause einige Salate an. „Als ich die ersten Granaten über meinen Kopf pfeifen hörte, bin ich weggerannt“, sagt der 30-Jährige mit dem sonnengebräunten Gesicht. „Nach fünf Tagen bin ich zurückgekommen, weil ich das Gehalt zu dringend brauchte.“ Wie der Großteil der Menschen in der Grenzregion ist Bilal auf die Arbeit in der Landwirtschaft angewiesen, um sich zu ernähren. Und arbeitet trotz der Gefahr weiter.

Bilal und seine Kollegin gehören zu den wenigen, die sich noch trauen, hier zu arbeiten.
Bilal und seine Kollegin gehören zu den wenigen, die sich noch trauen, hier zu arbeiten. © PHILIPPE PERNOT

„Zum Glück waren es 120-Millimeter-Geschosse und keine Brandbomben oder weißer Phosphor, so dass meine Felder nicht in Flammen aufgegangen sind“, sagt Nimr und zeigt uns Fotos von einer Granate. Laut Amnesty International, Medienberichten und geflüchteten Einwohner:innen hat Israel, wie in Gaza, auch im Libanon Phosphorbomben verwendet. Deren Einsatz gegen Zivilpersonen ist nach internationalem Recht strengstens verboten.

„Wenn weißer Phosphor mit Sauerstoff in Kontakt kommt, verbrennt er alles, was er berührt, bei 850 Grad Celsius“, erklärt Abbas Baalbaki, Umweltforscher an der amerikanischen Universität Beiruts und Umweltaktivist bei der Organisation „Die Grünen Südländer“. Das Gas ist für Menschen hochgiftig und kann schwere Verätzungen der Atemwege und der Haut verursachen.

Weißer Phosphor stellt eine Gefahr für das Ackerland und die lokale Vegetation dar. Diese Bomben könnten, wenn sie nicht sofort Feuer fangen, noch Jahrzehnte später bei der kleinsten Bewegung aktiviert werden, sagt Baalbaki. „Die Umwelt ist so bis zu siebzig Jahre später mit Chemikalien belastet und verseucht die gesamte Nahrungskette, das Land und die Flüsse“, warnt er. Ihm zufolge zielen die israelischen Bombenangriffe darauf, die Grenzregion langfristig unfruchtbar zu machen.

Die Organisation Grüne Südländer versucht seit sechs Jahren, hier ein Naturschutzgebiet einzurichten

Für Baalbaki steht diese ökologische Dimension des Konflikts außer Frage. „Israel hat verstanden, dass den Bewohnern des Südlibanon ihr Land sehr wichtig ist und dass einige es nie verlassen werden. Also zielt es auf diese Identität selbst ab und versucht, so viel Schaden wie möglich anzurichten. Niemand will in einem rauchenden Ruinenfeld leben.“

Israel verfolgt aber auch militärische Objektive. Einige Kilometer entfernt von Alma al-Shaab liegt das Zebqine-Tal. Inmitten tiefgrüner Wälder schlängelt sich ein Fluss durch dieses von der Urbanisierung noch unberührte Gebiet. Die Grünen Südländer versuchen seit sechs Jahren, hier ein Naturschutzgebiet einzurichten: Noch stehen die Genehmigungen aus. Allerdings wurde das Tal auch schon Ziel israelischer Bombenangriffe – auch, als der Reporter der Frankfurter Rundschau sich dort umschauen will. Womöglich habe die Hisbollah im Tal einige Verteidigungspositionen errichtet, die bombardiert worden seien, heißt es aus mehreren Quellen. Die Information konnte nicht bestätigt werden.

Eine Rakete explodiert nahe einem israelischen Grenzposten.
Eine Rakete explodiert nahe einem israelischen Grenzposten. © Petra OHLINGER

Human Rights Watch berichtete nach dem Juli-Krieg von 2006, dass die Hisbollah das Zebqine-Tal für Training, Waffenlager und Verteidigungspositionen nutzte. „Jedenfalls ist klar, dass die Hisbollah so weit wie möglich versucht, den Wald vor der Urbanisierung zu beschützen – denn er gibt ihren Kämpfern Deckung“, sagt Jean Stephan, Professor für Waldökologie an der libanesischen Universität. Schon während der israelischen Besatzung des Südlibanon von 1978 bis 2000 gruben Kämpfer Tunnel unter der Erde, errichteten Bunker unter Hügeln und benutzten die Deckung des Waldes, um getarnt zu bleiben.

Die Umwelt im Südlibanon leidet schon seit Jahren unter den Kämpfen. Während des Krieges zwischen der Hisbollah und Israel im Juli 2006 vergiftete eine Ölpest die Sandstrände des Südens, wo die vom Aussterben bedrohten Meeresschildkröten ihre Eier ablegen. Landminen aus den letzten Kriegen sind immer noch in der Nähe der Grenze versteckt und stellen eine ernste Gefahr für Viehherden, Wildtiere und Bauern dar.

„Es ist eine Form von ‚langsamer Gewalt‘, die nicht direkt den Körper der Menschen zum Ziel hat, sondern die Luft, die sie atmen, das Wasser, das sie trinken, und die Umwelt, in der sie sich bewegen“, sagt Ahmad Beydoun, Doktorand an der Technischen Universität Delft in den Niederlanden, der die Militarisierung der Umwelt im Nahen Osten untersucht.

„Die vielen Kriege haben die Umwelt geschwächt“, sagt Waldökologe Jean Stephan

Der Forscher sieht eine klare Linie von der „Nakba“, dem erzwungenen Exil der Palästinenser 1948, bis heute. „Schon damals vergiftete die israelische Armee das Wasser der Brunnen in Palästina, um die Einheimischen zum Verlassen des Landes zu bewegen. Die Idee, die Vegetation zu verbrennen, ist neu, aber nicht überraschend“, meint er.

„Die vielen Kriege haben die Umwelt geschwächt und noch anfälliger für Waldbrände gemacht“, sagt Waldökologe Jean Stephan. Olivenbäume könnten bis zu sieben Jahre brauchen, bis sie wieder Früchte trügen. Für viele Bäuerinnen und Bauern seien die Waldbrände eine totale Katastrophe, die ihren Überlebenskampf auf Jahre hinaus beeinträchtige.

Mitarbeit und Recherche: Amélie David

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